Lässt sich ehe beliebig definieren?

AutorWolfgang Waldstein
Páginas61-78
LÄSST SICH EHE BELIEBIG DEFINIEREN?
Wolfgang WALDSTEIN
Universität Salzburg
In der heutigen Zeit verlangen Personen, die in verschiedenen For-
men von Verbindungen leben, daß ihre Verbindungen als mit der von
der Rechtsordnung anerkannten Form der Ehe gleichberechtigt aner-
kannt werden. A. BETTETINI 1 hat besonders eindrucksvoll die innere
Widersprüchlichkeit dieser Forderungen aufgezeigt. So zeigt er für die
faktischen Verbindungen («unioni di fatto») 2, die als «eheähnliche Ge-
meinschaften» bezeichnet werden 3 oder im Verhältnis eines Elternteiles
zu den Kindern als «Halbfamilie» 4, dass es in all diesen Fällen gerade
am Willen oder an den objektiven Voraussetzungen fehlt, eine rechts-
gültige Ehe zu schließen oder eine Familie zu begründen. Er zeigt weiter
auf, welche Akrobatik des juristischen Denkens aufgewendet wird, um
bei Verabsolutierung der persönlichen Autonomie der Partner, die alles
rechtfertigen soll, schließlich dabei zu enden, dass der Staat, von dem
man sich freimachen wollte, genau das durch rechtliche Anerkennung
herbeiführt, was der autonome Wille der Partner selbst nicht wollte 5.
1 La secolarizzazione del matrimonio nell’esperienza giuridica contemporanea, Padova,
CEDAM, 1996, künftig abgekürzt zitiert: Matrimonio.
2 Matrimonio, S. 117-177.
3 Matrimonio, S. 148-153.
4 Matrimonio, S. 153-155.
5 Matrimonio, S. 177. Hier ist es notwendig, den Originaltext zu zitieren: «Negli ordi-
namenti qui riguardati, la convivenza è invece (bezugnehmend auf den vorausgehenden Text)
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Dies offenbart eine Art epidemischer Schizophrenie, die vom Staat die
rechtliche Anerkennung verlangt, deren rechtliche Voraussetzung, die
rechtswirksame Form, die persönliche Autonomie gerade nicht will.
Besonders grotesk wird diese Diskrepanz dort, wo selbst das ele-
mentarste und seit der Antike immer selbstverständlich vorausgesetzte
Wesensmerkmal der Ehe, wonach sie eine Verbindung von Mann und
Frau ist, preisgegeben wird. Damit werden die ebenfalls seit der vor-
christlichen Antike anerkannten naturrechtlichen Grundlagen der Ehe
missachtet. Dies führt zu einer Denaturierung («denaturalizzazione») des
Instituts der Ehe, indem es dieses eines der Elemente beraubt, die ihm
seit jeher zugehörten und nach der natura rerum für dieses Institut kon-
stitutiv sind 6.
Wenn einmal die Grundlagen einer rechtlichen Ordnung, die der
Würde des Menschen entspricht, verlassen sind, wird alles möglich. Die
geistige Vorbereitung dieser Vorstellungen hat Stephan BUCHHOLZ be-
reits 1988 in einer großartigen Analyse der Entwicklung in der «Aufklä-
rung» aufgezeigt 7. Besonders verblüffend ist die Entwicklung in Christi-
an THOMASIUS. Zunächst anerkannte er ein Naturrecht, aber «es ging ihm
[...] um die Autonomie des Naturrechts selbst, um die Selbständigkeit
naturrechtlicher Moralnormen gegenüber allen moraltheologischen P-
missen. Die Vernunft als Erkenntnisprinzip des Naturrechts sollte vor-
urteilsfrei anwendbar sein» 8. Die Folge daraus war, daß «die religiösen
Bezüge entfallen sind». Dies hat jedoch nicht zu einer «Befreiung» der
Ver nu nf t ge fü hrt , s ond er n sc hl ie ßli ch zu i hr er f ak ti sch en Eli mi ni eru ng .
BUCHHOLZ formuliert das Ergebnis folgendermaßen: «Menschliche Er-
kenntnis ist, als Vorgang und Ergebnis, ein Produkt der Unfreiheit, hebt
sich mithin selbst auf – die Affekte prägen den Willen und der Wille gibt
considerata anche quale mero fatto naturale, ove assente è il consenso o, a essere più precisi,
una volontà idonea a far sorgere vincoli fra le parti e nei riguardi di terzi [...], sì che, parados-
salmente, elemento costitutivo del vincolo risulta essere non la volontà dei singoli, ma quella
dello Stato da cui si intendeva invece emancipare. / E si è pertanto tornati, per una sorta di
nemesi storica, a quel modello “pubblico” di coniugio da cui dottrina e giurisprudenza sempre
maggiormente accentuando il carattere di autonomia negoziale privata del matrimonio, si
erano voluti allontanare».
6 Matrimonio, S. 46. Für weitere Einzelheiten vgl. meine Rezension in De Processi-
bus Matrimonialibus, Fachzeitschrift des Kanonischen Ehe- und Prozeßrechtes, 6 (1999),
S. 241-250.
7 Recht, Religion und Ehe. Orientierungswandel und gelehrte Kontroversen im Über-
gang vom 17. zum 18. Jahrhundert (Ius Commune, Sonderhefte, Studien zur Europäischen
Rechtsgeschichte, 36), Frankfurt am Main, 1988, künftig abgekürzt zitiert: Recht.
8 Recht, S. 34.
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