Sabine Philipp-Sattel, «Parlar bellament en vulgar, Die Anfänge der katalanischen Schriftkultur im Mittelalter»

AutorThomas Gergen
CargoDr. jur., Dr. phil., Maître en droit. Saarbrücken
Páginas464-468

Page 464

Die Dissertation entstand im Rahmen des Freiburger Sonderforschungsbereichs „Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit“, Projekt „Verschriftlichung der romanischen Volkssprachen“ und beleuchtet die Übergangsperiode vom Lateinischen zum Katalanischen. Motto und Conclusio der vorliegenden Studie fußen auf Ramon Llull, der für diese Entwicklung das Verbum devallar (hinabsteigen) verwendete:

...e encara per ço la posam en vulgar, que.ls hòmens qui saben latí hagen doctrina e manera com de les paraules latines sàpien devallar a parlar bellament en vulgar, usant de vocables d’esta art, car molt hòmens són qui de la sciència en latí no saben transpostar en vulgar per defalliment de vocables, los quals per esta art haver poran.

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Die zentrale Fragestellung des katalanischen Mittelalters lautet demnach: Warum entstand katalanische Schriftkultur, wenn doch die lateinische Sprache diese Bedürfnisse genausogut befriedigen konnte? Zur Beantwortung dieser Frage zeigt die Autorin die Schaffung neuer Texte auf und illustriert den Gebrauch des Lateinischen wie des Katalanischen für alle wesentli- chen Bereiche des Hochmittelalters. Religion, Weisheitsliteratur, Recht und Verwaltung, Wirtschaft sowie Historiographie brachten zahlreiche Texttraditionen hervor.

  1. Die Gründe, Katalanisch in religiösen resp. kirchlichen Texten zu gebrauchen, werden in der Studie sehr deutlich: Sie liegen einmal in der abnehmenden lateinischen Bildung und der Verschlechterung der Lateinkenntnisse des Klerus (38), zum zweiten in Spannungen zwischen Amts- und Volkskirche: Wo nämlich Häretiker Zulauf fan-Page 465den, löste das Katalanische das Lateinische schnell ab (37). Wichtig wäre überdies herauszustellen, daß die Häretiker, welche als inner- kirchliche Feinde und Zielscheibe der Kreuzüge galten, gegen überkommene Traditionen der Amtskirche und mithin auch gegen das Kirchenlateinische ankämpften.2 Volkssprachen, wie hier das Katalanische sollten die Ideen und Reformen der Erneuerung der Kirche gewissermassen „von unten“ beflügeln. Angestrebt wurde, die Gläubigen an der Liturgie möglichst umfassend zu beteiligen (41). Deshalb wurde auch die Bibel, Geschichtsund Erbauungsbuch in einem, rasch ins Katalanische übertragen. Der Übersetzer der Bíblia de Sevilla verband damit einen ebenso ästhetischen wie literarischen Anspruch (44): «comens romans molt profitós...» und forderte Vorleser und Abschreiber dazu auf, den Text nicht zu verstümmeln und somit vollständig zu tradieren; es heißt:

    E prec tots cels que la legiran ho escriure la uolran Que no deyen les rimes afolar Nel lengage cambiar.

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  2. Unter „Wissensvermittlung“ faßt Philipp-Sattel die Spruchweisheit sowie die Schriften Ramon Llulls zusammen und stellt deren pädagogische Absicht (48) heraus: Lebensklugheit, gute Sitten und Anstand neben christlicher Moral (78) werden ebenso angeführt wie der Wissensdurst der Herrschenden (52) und die daher rührende Notwendigkeit, aus dem Arabischen zu übersetzen (78); dies zeigt die Studie anhand der Llibre de doctrina/Llibre de saviesa. Da vornehmlich die königliche Familie Adressat war und die Weisheitsliteratur lange in der königlichen Bibliothek aufbewahrt wurde, fanden diese Texte nur geringe Verbreitung (51). Die Dissertation trägt das Verdienst, die Rolle Llulls zu relativieren (79 u. 139) und ihn als Mehrsprachler zu charakterisieren, der zwar sicherlich Katalanisch schrieb, aber eben nicht nur. Er verfaßte zweckgebunden; je nach missionarischem Auftrag wählte er die günstigste Sprache aus, d.h. Arabisch, Lateinisch oder Katalanisch abhängig von der Zielgruppe (53-54 u. 140).

  3. Das Rechtswesen gliedert die Verfasserin in die für das Mittelalter wichtigen Bereiche von Rechtskodifikation und Urkundenwesen. In der Verwaltung spielte das Katalanische auch im 13. Jh. noch keine wesentliche Rolle (80). Hinsichtlich der Urkunden wird betont, daß gerade Ramon Berenguer I, 1035-1076, zur Befriedung und Retablierung der inneren Ord-Page 466nung Kataloniens die conventiae (70) auf Katalanisch schwören und aufschreiben ließ, damit sie auch von den betreffenden milites unmißverständlich beachtet werden konnten. Die Rechtskodifikation stellte einen wichtigen Schub für die Verschriftlichung des Katalanischen dar (79): Die Usatges de Barcelona3 wie die vorhergehenden Westgotengesetze (Ligs, Liber iudiciorum) ergänzten einander.4 Die Usatges beziehen sich sogar explizit auf den Liber iudiciorum.5 Die lehensrechtlichen Commemoracions des Pere Albert komplettierten ab der Mitte des 13. Jhs. die katalanische Rechtsordnung.

    Für die Städte ergab sich schließlich folgende Gesetzeshierarchie: Erst wurden die Costumes angewandt, dann traten die Usatges de Barcelona und endlich der Codex Iustinianus hinzu (63), so daß dem Stadtrecht der erste Rang in der Normenhierarchie eingeräumt wurde. Dies darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich das am Ende des 11. Jhs. wiedergefundene römische Recht nicht gegen lokales durchsetzen konnte. Mit zunehmender Verbreitung des römischen Rechts setzte sich gleichfalls die Theorie durch, daß die Statuten (also Stadtrechte) eng auszulegen waren: Statuta sunt stricte interpretanda.6 Dies hatte zur Folge, daß die Stadt- bzw. Landrechte in praxi zugunsten des römischen Rechts in weniger Fällen zur Anwendung kamen, so daß aus o.g. Rangfolge des Rechts nicht unbedingt auf die Absolutheit der katalanischen Stadtrechte geschlossen werden kann. Der Gebrauch des Katalanischen ist auch in der Rechts- und Gerichtssprache mit Vorsicht zu genießen.

    Allerdings ist davon auszugehen, daß am Richteramt immer mehr Laien beteiligt waren (60). Dies be-Page 467traf genauso die Verwaltungsorganisation, die das Bürgertum maßgeblich mitgestaltete, v.a. in València, das sich nach der Reconquista mit den Furs de València eine bürgerlich geprägte Neuorganisation gegeben hatte (68-69 u. 79). Vor Gericht erleichterten katalanische Übersetzungen die Interpretation, obwohl nach wie vor die lateinische Version als die schriftwürdige zählte (60). Ad-hoc-Übersetzungen für Angeklagte in deren Muttersprache ermöglichten die Wahrheitsfin- dung genauso wie katalanisch geschriebene Costums, die gemeinhin als Nachschlagewerke dienten (65 u. 79).

  4. Für den für Katalonien so wichtigen Handel stellt die Autorin heraus, daß zwar die Schriftproduktion im Hochmittelalter spürbar anstieg, die Sprache des Handels jedoch weiterhin das Lateinische blieb (130). Das Katalanische wurde nur zögerlich Handelssprache, weil das Geschäftslatein so formalisiert war (comanda) (72-74), daß ein Kaufmann lediglich mit dieser stan- dardisierten Handelssprache auskam und nur rudimentäre Kenntnisse des Lateinischen vonnöten waren (80).

  5. Ein eigenes Kapitel der Studie ist der lateinischen wie der katalanischen Historiographie gewidmet. Rechtfertigung der Macht durch Betonung der Verdienste der Herrscher (101) und Abgrenzung Kataloniens zu Aragonien, mit dem seit 1137 eine Konföderation be- stand (137): Dies wollten die Gesta comitum barcinonensium herausstellen - die katalanische Volkssprache ermöglichte hier eine weitere Verbreitung als das Lateinische. Mit den katalanischen Gesta, die ihrem lateinischen Modell in Inhalt und Form weitgehend verhaftet blieben (119), verließ die Geschichtsschreibung den klösterli- chen Bereich und stieg hinab in die Städte (137). Desclot vermochte das Katalanische erstmals für narrative Texte anzustrengen (136). Das in den katalanischen Gesta so juristische ‘davant dit’ findet sich hier als ‘damunt dit’ wieder (131) und trägt zum nüchternen, sachli- chen Stil bei. Doch Desclot schrieb nach Art eines Prosaromans (135). Sein Fürstenspiegel, der die junge höfische Elite ansprechen wollte, lieferte eine Darstellung ausschließlich vorbildlichen Handelns (137). Obzwar zu jener Zeit Französisch und Okzitanisch an katalanischen Höfen die üblichen Sprachen waren, wählte Desclot die Volkssprache, das Katalanische.

    Die Dissertation stellt am Ende gut heraus, daß das Katalanische als Volkssprache auch Hofsprache werden konnte und eröffnet im ganzen einen guten Zugang zur katalanischen Schriftproduktion bis 1300. Sie dokumentiert, daß die all-Page 468gemeine Entwicklung der Verschriftlichung des Katalanischen in der Verlagerung von klerikaler hin zur laikalen Schriftkultur zu suchen ist. Sabine Philipp-Sattel hat sie dort zurecht gefunden.

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    [1] . In Klammern angegebene Seitenzahlen beziehen sich auf die hier besprochene Dissertation.

    [2] . Jean Flori (1998): Chevaliers et chevalerie au Moyen Age, Paris/Hachette, 198.

    [3] . Bei der Arbeit mit den Usatges ist noch hinzuzuziehen: Joan Bastardas (1984): Usatges de Barcelona. El Codi a mitjan segle XII. Barcelona/F. Noguera.

    [4] . Vgl. dazu Carles Duarte i Montserrat (1991). In: Günter Holtus: Lexikon der romanistischen Linguistik (lrl), Bd. 5, 186, Tübingen/Niemeyer; Thomas Gergen (1996): Geschichte und neueste Tendenzen der katalanischen Amts- und Landessprachenpolitik, 9-10, Ed. Romanistik, Bd. 13, Marburg/Tectum.

    [5] . Für das Thema der katalanischen Texttradition können zusätzlich die Forschungen über die katalanische Friedensbewegung von Gener Gonzalvo i Bou fruchtbar gemacht werden. Er zeigt zwei in katalanischer Sprache geschriebene Konstitutionen der ersten Hälfte des 13. Jhs. auf. Es handelt sich um die Konstitution von Cervera von September 1202, die Pere I dort vom königlichen Hof billigen ließ, sowie eine Konstitution de Pau i Treva, die Jaume I, in Barcelona im Dezember des Jahres 1228 promulgierte; vgl. Gener Gonzalvo i Bou (1995): «Versions en català de Constitucions de Pau i Treva», Medievalia 12, 33-40 (Universitat Autònoma de Barcelona. Institut d’Estudis Medievals); grundlegende Arbeit: ders. (1994): Les Constitucions de Pau i Treva de Catalunya (segles XI-XIII). Barcelona/Departament de Justícia de la Generalitat.

    [6] . Gerhard Köbler (1990): Deutsche Rechtsgeschichte, § 6 B I 1, München/Vahlen.

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